Foto: Ute Möller/Bündnis 90/Die Grünen
Die Grüne Landtagsabgeordnete Dr. Sabine Weigand hat die Caritas-Kreisstelle in Nürnberg-Langwasser besucht, um sich darüber zu informieren, mit welchen Problemen die Caritas-Einrichtungen in der Coronakrise zu kämpfen haben. Klar wurde: Sowohl das Seniorenheim St. Josef und die Caritas Sozialstation als auch die Allgemeine Sozialberatung und die Erziehungsberatung wünschen sich mehr Unterstützung durch die bayerische Landespolitik.
Caritas übernahm quasi Aufgaben der Ämter
In Langwasser leben Menschen aus 40 Nationen. Viele von ihnen konnten - wegen mangelnder Sprachkenntnisse oder weil sie keinen Computer haben - ihre Angelegenheiten bisher gut persönlich beim Amt regeln. "Im Lockdown 2020 waren die Behörden plötzlich geschlossen, alles ging nur noch digital. Viele Leute waren völlig hilflos und haben sich in ihrer Not an die Allgemeine Sozialberatung der Caritas gewandt", so Kreisstellenleiter Michael Glaser. "Hier haben wir die Aufgaben der Ämter quasi übernommen", erklärte er Sabine Weigand und ihrer Begleiterin Steffi Leisenheimer aus dem Vorstand des Grünen-Ortsverbands Nürnberg-Süd.
Der Diplom-Sozialpädagoge Glaser forderte: "Für Menschen, die mit der Digitalisierung nicht klarkommen, müssen unbedingt alternative Zugänge zu den Ämtern erhalten bleiben." Das "Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen", das bis Ende 2022 Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen elektronisch anzubieten, dürfe keinesfalls entwickelt werden, ohne die Erfahrungen der Praktiker zu berücksichtigen. Sabine Weigand versprach, dass sie diese Forderung auf jeden Fall in den Landtag mitnimmt, "ich werde sie auch Richtung Berlin spiegeln". Niemand dürfe durch die Digitalisierung von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden. "Das gilt ganz besonders für alte Menschen."
Orte der Begegnung in Stadtquartieren schaffen
Kirstin Inselsberger, Geschäftsführerin der Caritas Sozialstation Nürnberg-Süd, ergänzte: "Viele Ältere gehen zum Beispiel gerne schwimmen, aber weil sie ihr Eintrittsticket nicht online buchen konnten, mussten sie in der Corona-Zeit darauf verzichten. Genauso wie auf anderen Sport. Wir bemerken in der mobilen Pflege, dass die Menschen immer dünnhäutiger werden."
Weigand plädierte dafür, in Stadtquartieren genauso wie auf dem Land Orte zu schaffen, an denen sich Menschen niedrigschwellig begegnen können. Angelehnt an das erfolgreiche britische Modell "The pub is the hub" sollte es dort möglich sein, Kaffee zu trinken, Selbstgemachtes zu verkaufen, Pakete abzugeben und Hilfe bei Alltagsfragen zu bekommen. "Wir brauchen solche Anlaufstellen. Das hilft gegen Einsamkeit und bringt praktische Unterstützung bei Problemen, die alleine nicht gelöst werden können."
Sabine Weigand hält es grundsätzlich für eine gute Idee, dass Kommunen dafür auch Immobilien nutzen, die Kirchengemeinden nicht mehr brauchen und deshalb zum Kauf anbieten. "Aber die Kommunen sind klamm und haben oft Angst zu investieren. Hier könnte der Freistaat Förderprogramme auflegen und Mittel bereitstellen."
Dass es für obdachlose Menschen im Nürnberger Land, anders als in der Stadt, keine Hilfestrukturen gibt, ist laut Glaser ebenfalls ein drängendes Problem. "Wir möchten gern präventive Angebote etablieren, denn auch im Nürnberger Land gibt es ein großes Wohnungsproblem, und die Menschen, die auf der Straße leben, haben einen Anspruch auf Hilfe."
"Im Lockdown fehlten uns die Ansprechpartner"
Auch die Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Langwasser spürt deutlich die Auswirkungen der Coronakrise. Leiter Martin Seger: "Im Lockdown fehlten uns die Ansprechpartner beim Allgemeinen Sozialdienst, in den Kitas und Schulen. Das war beim Thema Kindeswohlgefährdung ein Problem. Familien, die vorher gut klarkamen, haben auch diese Phase ganz gut bewältigt. Aber dort, wo die Strukturen problematisch waren, hat sich die Situation deutlich verschlechtert: Beziehungsprobleme haben sich verschärft oder Kinder sind im Homeschooling völlig abgetaucht." Als Folge registriere die Beratungsstelle jetzt viele Schulverweigerer, "denen fehlt ein halbes Jahr Tagesstruktur und Routine, das ist schwer wettzumachen."
Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche hat inzwischen eine Wartezeit von vier bis sechs Wochen auf einen Termin. Das sei im Unterschied zu den horrenden Wartezeiten von oft über einem halben Jahr bei niedergelassenen Therapeuten zwar kurz, aber nicht zufriedenstellend. Sabine Weigand kritisiert, dass die Ausbildung von Psychotherapeuten immer noch Stiefkind der Gesundheitspolitik sei. "Dabei zählt bei akuten psychischen Krisen jeder Tag, den ich früher einen Termin bekomme."
Familien mit multiplen Problemen, teilweise geschickt vom Jugendamt oder von Schulen - die Herausforderungen seien groß, Finanzierungsmodelle des Freistaats oft leider untauglich, kritisierte Martin Seger. Ein Beispiel: "Der Freistaat Bayern fördert Stellen für die aufsuchende Arbeit in den Erziehungsberatungsstellen. Aber weil die Kommunen und Träger den Großteil der Personalkosten decken müssten, können diese Stellen nicht überall geschaffen werden." Wenn dann die Finanzmittel nicht abgerufen werden, heiße es: Da gibt es ja gar keinen Bedarf. "Was aber nicht stimmt. Uns wäre mehr geholfen, wenn der Freistaat 50 komplette Stellen finanziert an den Orten, wo der Bedarf besonders groß ist." Sabine Weigand stellte hierzu fest: "Es ist zudem häufig ein Problem von Förderprogrammen des Freistaats, dass die Empfänger nach Ablauf der Anschubfinanzierung nicht mehr weiterwissen. Wir müssen nachhaltiger unterstützen und langfristiger denken."
Befristete Stellen sind ein Problem
Die Befristung der Fördermittel ist auch ein Problem in der Flüchtlingsberatung. Laut Michael Glaser zieht sich die evangelische Kirche aus den Flüchtlingsunterkünften zurück. Das wirke sich auch in Nürnberg massiv aus. Für die Stadt stelle sich die Frage, wer künftig die Beratungen übernimmt. Glaser: "Andere Wohlfahrtsverbände halten sich zurück, weil die Finanzierung vom Staatsministerium immer zeitlich begrenzt ist. Befristete Stellen sind aber ein Problem, weil die Mitarbeitenden auch eine berufliche Sicherheit haben und für die Zukunft planen möchten." Sabine Weigand wird dieses Thema auf jeden Fall mit nach München nehmen.
Ebenfalls nach einer politischen Regelung rufe die "katastrophale fachärztliche Versorgung in den Pflegeheimen", sagte Philip Hausleider, Leiter des Seniorenheims St. Josef. "Fachärzte machen einfach keine Besuche bei uns. Egal ob Neurologen, Zahnärzte oder Hautärzte, wir kriegen sie nicht dazu, unsere Schützlinge im Heim zu behandeln." Auch in der mobilen Pflege gäbe es dieses Problem. Sabine Weigand: "Hier kann die Politik ansetzen und Anregungen schaffen oder Verpflichtungen einführen, dass jeder Arzt im Heim Stunden leisten muss. Denkbar sind auch finanzielle Anreize, vergleichbar mit der Landarztprämie. Warum sollten wir nicht den Zugang zum Medizinstudium für diejenigen erleichtern, die sich bereit erklären, in Pflegeheimen zu arbeiten?"