Erna Faber und Bernd Alin haben sich auf der Zugfahrt mit den Mobilen Reisehilfen viel zu erzählen. Foto: Peter Esser/Caritas
Die 86-jährige Erna Faber schiebt ihren Rollator auf Gleis 6 vor sich her, während der sie begleitende Vorruheständler Bernd Alin ihren Koffer sowie eine Notfalltasche trägt. Es ist zehn Uhr morgens am Ingolstädter Hauptbahnhof, als die beiden in die Regionalbahn nach Nürnberg einsteigen. Dort wird Fabers Tochter Andrea Nehring aus Bayreuth ihre Mutter abholen. "Heute fahren wir zu ihrem ältesten Sohn, meinem Enkel nach Fürth. Der ist dort evangelischer Vikar geworden und in eine Wohnung gezogen. Die wollen wir uns anschauen", freut sich die betagte Dame. Alleine könnte sie die Reise nicht mehr unternehmen, denn "ich kann kaum noch etwas sehen, ich weiß gar nicht, in welchen Zug ich einsteigen muss", erklärt sie.
Dass Erna Faber dennoch fahren kann, verdankt sie an diesem Morgen Bernd Alin. Er ist ein Ehrenamtlicher der Mobilen Reisehilfen, welche die von der Caritas und Diakonie getragene Ingolstädter Bahnhofsmission vor zwei Jahren ins Leben rief, um genau solchen Menschen wie der 86-jährigen Rentnerin zu helfen. Sie ist schon das zweite Mal mit diesem Dienst unterwegs. Beim ersten Mal fuhr sie "mit einem anderen netten Mann" direkt zur Tochter nach Bayreuth. "Dem erzählte ich meinen ganzen Lebenslauf", sagt Erna Faber und lacht. Heute wird sie dies bei Bernd Alin erneut tun.
Über Sehbehindertenbund kennengelernt
Die Ingolstädterin lernte die Mobilen Reisehilfen über den Sehbehindertenbund kennen, in dem sie Mitglied ist. Ein für diesen Bund zuständiger Nürnberger Pfarrer machte sie darauf aufmerksam, "dass es das in Ingolstadt jetzt gibt". Sie erinnert sich noch daran, dass sie vor einigen Jahren einmal allein im Zug fuhr, in Ingolstadt aussteigen musste, dies aber alleine mit Koffer und Gehwagen nicht hätte tun können. "Ich war ziemlich nervös, weil der Schaffner nicht kam. Es war sonst niemand da, der mir hätte helfen können." Schließlich kam der Schaffner doch noch.
Als der Zug sich in Bewegung setzt, beginnt Erna Faber aus ihrem Leben zu plaudern. Zweimal in der Woche kommt eine Betreuerin der Caritas zu ihr. "Die kauft mit mir ein, liest mir die Zeitung vor, und wir besprechen, was gerade anfällt", erzählt die Rentnerin. Zusätzlich kommt einmal pro Woche eine Haushaltshilfe. Dann stöhnt sie: "Doch der große Garten wird mir zur Belastung. Ich habe eine riesige Terrasse und viele Blumen. Da ist vieles zu einer kleinen Wildnis geworden." Und sie bittet ihren Begleiter: "Also wenn Sie einmal von jemandem hören, der sich um so etwas kümmert, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es mir mitteilen." Bernd Alin nickt freundlich und aufmerksam. Dann erzählt Erna Faber von früher, als sie Religionsunterricht gab, Kindergottesdienste organisierte und im Eine-Weltladen in Ingolstadt mitarbeitete. Zur Freude von Alin hat sie aus diesem Laden einige Fruchtgummis mitgebracht, die sie ihm anbietet.
Nach dem Besuch des Enkels in Fürth wird Erna Faber drei Tage bei ihrer Tochter in Bayreuth bleiben. Ob sie auch dort von den Mobilen Reisehilfen abgeholt werden kann, möchte sie wissen. Auch wenn das etwas kurzfristig ist, vermittelt Bernd Alin ihr den Kontakt zu Kurt Göttling, der den Dienst bei der Bahnhofsmission Ingolstadt koordiniert und die Fahrgäste vermittelt.
Alin hatte sich bereits vor zwei Jahren bei den Mobilen Reisehilfen als Ehrenamtlicher gemeldet, kam aber erst jetzt erstmals zum Einsatz als Begleiter. "Ich fahre gerne Zug, freue mich über neue Bekanntschaften und helfe gerne Leuten, die Hilfe brauchen", beschreibt er seine Motivation für seinen ehrenamtlichen Dienst. Neben ihm gibt es derzeit Kurt Göttling zufolge noch drei weitere Männer und drei Frauen, die dafür zur Verfügung stehen. Zwei sind berufstätig, fünf befinden sich im Ruhestand. Im ersten Jahr des Angebots haben von dem Angebot fünf blinde Menschen profitiert, zuletzt sind neben Erna Faber eine junge Dame mit Downsyndrom und eine Person mit geistiger Behinderung im Zug begleitet worden.
"Noch nicht bekannt genug"
Dass sich die Zugfahrenden mit den Mobilen Reisehilfen der Bahnhofsmission Ingolstadt im Moment noch an zehn Fingern abzählen lassen, führt Kurt Göttling zum einen auf die Corona-Pandemie, zum anderen auf überfüllte Züge in der Zeit des Neun-Euro-Tickets zurück. "Wir sind aber auch noch nicht bekannt genug und immer noch dabei, die Werbetrommel zu rühren", erklärt der Koordinator.
Bis ihre Tochter eintrifft, begleitet Bernd Alin Erna Faber noch auf dem Bahngleis in Nürnberg. Foto: Peter Esser/Caritas
Auch Bernd Alin hofft, dass die Nachfrage nach dem besonderen Dienst der Bahnhofsmission noch steigt und er dann häufiger zum Einsatz kommt. Als der Zug am Nürnberger Hauptbahnhof hält, trägt er erst Rollator und Koffer von Erna Faber heraus, dann hilft er ihr beim Aussteigen. Da deren Tochter in einen Stau geriet, wartet er mit der 86-jährigen Dame auf dem Gleis noch eine Weile. Tochter Andrea Nehring meint nach ihrer Ankunft: "Ich finde es sehr schön, dass es das Angebot gibt. Das ist sehr hilfreich. Sonst hätte ich jetzt drei Stunden fahren müssen, um meine Mutter zu mir zu holen." Und Bernd Alin zieht als Fazit seiner ersten Fahrt als Ehrenamtlicher: "Es war sehr interessant und entspannend. Wir haben uns gut unterhalten, und ich habe viel über das Leben von Frau Faber erfahren. Es hat Spaß gemacht."
Informationen über die Mobilen Reisehilfen der Bahnhofmission Ingolstadt gibt es im Internet unter https://dw-in.de/bahnhofsmission-mobil. Wer lieber persönliche Auskünfte hat, erhält diese bei der Koordinationsstelle der Bahnhofsmission unter der Telefonnummer 01 51 28 17 41 18 oder per Mail an bahnhofsmission-mobil-ingolstadt@dw-in.de